Titelthema Südring Aktuell

Nachtleben
Unterwegs mit Lena und Lea
Über die Möglichkeiten und Grenzen inklusiven Feierns
Deutschland bekennt sich zur UN Behindertenrechtskonvention und sichert damit allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe zu. Über ihre Erfahrungen, den Möglichkeiten und Grenzen inklusiven Feierns berichten zwei Klientinnen von Leben mit Behinderung Hamburg.
Hoch die Hände, Wochenende? Während viele jungen Menschen freitags und samstags ausgelassen feiern gehen, ist dies für Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen oft ein Ding der Unmöglichkeit. Die Grundformel entspannten Feierns – hinkommen, reinkommen, klarkommen, wegkommen – scheitert vielerorts an unterschiedlichen Barrieren. Dabei ist es wichtig, dass Gesellschaft und Politik Menschen mit Unterstützungsbedarf nicht vom Nachtleben ausschließt, sondern kulturelle Teilhabe am Nachtleben ermöglichen.
Und deshalb ist es auch wichtig, von Lena und Lea zu berichten. Zwei Frauen mit unterschiedlichem Charakter und unterschiedlichen Voraussetzungen. Lena Basener, 29 Jahre alt und Fußgängerin, ist, seitdem sie 2019 in einer Wohngemeinschaft in der Margaretenstraße wohnt, regelmäßig in Hamburgs Nachtleben aktiv und besucht wochenends inklusive Partys. Lea Friedemann, 33, ist auf ihren Rollstuhl angewiesen und ging, bis Corona, regelmäßig auf Konzerte in Hamburger Clubs.
Kulturelle Angebote: Vom Zentrum in die Peripherie – und zurück
Lena bevorzugt inklusive Partyangebote. Hierfür nimmt sie gern weite Strecken in Kauf. Ob bei der InKontakt-Party im Stellwerk oder dem Kulturzentrum Lola: Von ihrem Viertel, der Schanze, führt der Weg zunächst zu ihrem Freund Pelle nach Barmbek und von dort gemeinsam, zumeist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und manchmal im Auto, mit Pelles Vater als Chauffeur, weiter nach Harburg oder Bergedorf, aber auch in die nähere Umgebung, etwa ins Brakula nach Bramfeld oder in den Bienenkorb nach Horn. „Ich bin auch gern in der Disco in der Elbe-Werkstatt im Südring“, meint Lena, „dort gibt es einen Fahrstuhl, der direkt zur Party führt.“ Denn Pelle sitzt im Rollstuhl und ist auf barrierefreie Zuwegungen angewiesen, um mit Lena auf der Tanzfläche tanzen zu können. Lena hört gern Schlagermusik, am liebsten Helene Fischer oder Andrea Berg. Deshalb geht Lena auch gern in Begleitung von Stadttreiben, dem barrierefreien Freizeitprogramm von Leben mit Behinderung Hamburg, in die Kiez Alm, eine Schlagerbar in der Großen Freiheit auf St. Pauli. „Allerdings ist es dort ziemlich voll und nicht einfach, einen Rollstuhl zu schieben“, ärgert sich Lena. „Mir ist es wichtig, dass alle ohne Hindernisse auf Partys gehen können. Auf dem Kiez sind zu viele Treppen. Das ist schlecht!“
Von äußeren und inneren Barrieren
Mit Treppen hat auch Lea ihre Erfahrungen gemacht auf dem Kiez. Einer ihrer Lieblingsclubs ist das headCRASH auf dem Hamburger Berg, ebenfalls auf St. Pauli. Und dann erzählt Lea die unglaubliche Story, wie sie dort Teilhabe quasi erzwang: „Die Band hieß Amplify. Der Türsteher wollte mich zunächst nicht reinlassen. Der Bassist sah mich dann: ‚Ist das unser Rolli?‘ Schwupps, der Rollstuhl wurde hochgeschleppt und ich bin dann, mit Unterstützung, die Treppe hochgelaufen. Der Rückweg war auch abenteuerlich, weil es runter für mich kein Geländer gab. Das befand sich auf der linken, meiner Spastiker-Seite, sodass ich rückwärts runterlaufen musste. Zuvor hatte ich noch mit der Band gequatscht, während das Publikum allmählich den Saal verließ und ich ungestört runter konnte. Mache ich immer so. Die Bands helfen teilweise mit.“
Andere Live-Clubs dagegen sind wunderbar barrierefrei. „Im Logo habe ich mich auf ein Podest gestellt, etwa auf Tischhöhe, mit direkter Sicht auf die Bühne. Und im Knust konnte ich mich vorn hinstellen.“ Allerdings hatte Lea auch des Öfteren mit inneren Barrieren zu kämpfen, wenn sich Leute vordrängelten oder ihr ein Bierglas vor ihr Gesicht hielten und ihr somit die Sicht versperrten. „Ich fahre dann die Arme aus oder frage die Typen, ob ihnen ihre Füße lieb sind“, erzählt Lea und schaut dabei grinsend auf ihre Rollstuhlräder.
Entspannt und sicher zu feiern kann bisweilen eine Herausforderung sein. Bis auf rücksichtsloses Verhalten Einzelner geriet Lea nur einmal in eine brenzlige Situation, im Grünspan, wo sie aufgrund einer Brandschutzmaßnahme Rollstuhlverbot erhielt und auf einem Stuhl ohne Armlehnen sitzen musste.
Lena hat bisher glücklicherweise noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Als BeSt-Multiplikatorin – das Kürzel steht für Beraten und Stärken – unterstützt Lena Menschen darin, dass sie selbstbestimmt ihre Sexualität ausleben und wie sie sich vor sexualisierter Gewalt schützen können. Denn nachts kann immer etwas passieren, auf der Tanzfläche, im Bus, auf dem Weg nach Hause.
Während Lena und Pelle auf inklusiv ausgerichteten Partys zwei von vielen sind, ist die Schnittmenge bei Lea eine andere. Die resolute Frau muss sich an den Hürden von Veranstaltungen für „Normkörper“ abarbeiten, was sie aber bewusst in Kauf nimmt. Denn gesetzliche Inklusionsvorgaben für private Veranstalter*innen gibt es keine. Andere mögen sich nicht angenommen fühlen, wenn sie nicht denselben Eingang wie Fußgänger*innen benutzen können. Nicht so Lea: Hier mag sie die Sonderbehandlung: „Beim Ernst Deutsch Theater gab es sogar einen roten Teppich, das fühlte sich cool an!“