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Drei Fragen an die Koalition
Nach der Bürgerschaftswahl und Konstituierung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg stehen SPD und Bündnis 90/Die Grünen erneut in der Regierungsverantwortung. Viele Themen stehen nun auf der politischen Agenda – unter anderem auch das wichtige Thema Inklusion. Leben mit Behinderung Hamburg fühlt der Koalition auf den Zahn und stellt drei Fragen an Regina Jäck, Fachsprecherin der SPD-Fraktion für Menschen mit Behinderung sowie an Kathrin Warnecke, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Soziales und Inklusion.
Leben mit Behinderung Hamburg: Welche Pläne hat Ihre Fraktion für die Inklusion in Hamburg?
Regina Jäck:Hamburg soll Inklusionsmetropole werden – eine Stadt, in der alle Menschen selbstbestimmt, gleichberechtigt und ohne Barrieren gut leben. Inklusion ist für uns eine Querschnittsaufgabe, die in allen Lebensbereichen mitgedacht und konsequent vorangebracht werden muss.
Dabei setzen wir auf breite Beteiligung: Politik für Menschen mit Behinderungen gestalten wir gemeinsam mit ihnen. Wir stärken den Landesbeirat, die Landesarbeitsgemeinschaft und den Partizipationsfonds, um Mitbestimmung niedrigschwellig zu ermöglichen.
Der Abbau von Barrieren wird konsequent vorangetrieben: in öffentlichen Gebäuden, in digitalen Angeboten der Stadt und mehr Angebote in Leichter Sprache. Dafür stärken wir das Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg.
Wir wollen auch die Privatwirtschaft stärker einbinden und eine Initiative für mehr Barrierefreiheit im Handel und bei Dienstleistungen entwickeln.
Beim Zugang zu Ausbildung und Beruf setzen wir konkrete Maßnahmen um. Wir wollen die Zahl der Teilnehmenden an den Budgets für Arbeit und Ausbildung erhöhen. Bis 2030 soll eine Strategie für einen inklusiven Arbeitsmarkt entwickelt werden. Angebote für junge Menschen mit Behinderungen sollen bei der Jugendberufsagentur gebündelt werden, um den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Inklusion ist ein kontinuierlicher Prozess und wir werden diesen Weg engagiert begleiten.
Kathrin Warnecke: Wir verfolgen das Ziel einer inklusiven, gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen. Dabei steht vor allem die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens für alle im Vordergrund.
Eine aus unserer Sicht maßgebliche Rolle in diesem Themenfeld in Hamburg spielen die Senatskoordinatorin und das Inklusionsbüro. Ihre Arbeit wollen wir weiter stärken und ihre Positionen engmaschig in unsere politische Praxis einbeziehen. Inklusion soll so in allen Bereichen konsequent mitgedacht werden.
Den Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK wollen wir im Querschnitt in allen Lebensbereichen umsetzen und ihn anhand der Ergebnisse der Evaluation, insbesondere hinsichtlich der Überprüfbarkeit der Maßnahmen weiterentwickeln.
Wir wollen, dass Menschen mit Behinderungen mitbestimmen können – bei Anliegen, die sie direkt betreffen, aber auch bei allen weiteren politischen Themen – denn Inklusion muss gesamtgesellschaftlich und themenübergreifend gemacht werden. Deshalb setzen wir uns dafür ein, eine verbindliche Grundlage für Inklusionsbeiräte in allen Hamburger Bezirken zu schaffen.
Wir wollen die Möglichkeit zur Wahl von Frauenbeauftragten für Bewohner*innen von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen einführen, um gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Frauen und den Schutz vor sexualisierter Gewalt in Einrichtungen weiterzuentwickeln.
Wir wollen Hamburg barrierefreier machen – in Austausch mit dem Kompetenzzentrum Barrierefreiheit z.B. durch mehr barrierefreien Wohnraum, digitale Antragsformulare in Leichter Sprache, einer Initiative für mehr Barrierefreiheit im Handel und bei Dienstleitungen oder mit Blick auf Barrierefreiheit in der medizinischen Versorgung. Wir wollen den Partizipationsfonds weiterführen und damit Projekte unterstützen, die barrierefreie Teilhabe ermöglichen.
Diese und viele weitere Punkte wollen wir umsetzen. Zudem wollen wir auch die spezifischeren Belange, beispielsweise von gehörlosen Menschen, angehen. Zu allen Themen und Fragen sind wir gern jederzeit erreichbar, hören uns Anliegen an oder berichten ausführlicher von unseren Vorhaben.
LmBH: Welche Projekte möchten Sie in dieser Legislaturperiode unbedingt umsetzen?
Jäck:Ein zentrales Vorhaben ist die Schaffung eines Zentrums für Teilhabe. Eine Anlaufstelle, in der alle Leistungen und Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung gebündelt, koordiniert und aus einer Hand angeboten werden. So ermöglichen wir bessere Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Teilhabe.
Ein weiteres Projekt ist der Ausbau der „Verfahrenslotsen“, die seit Anfang 2024 junge Menschen mit Behinderung und ihre Familien unterstützen. Diese kostenlose und niedrigschwellige Beratung werden wir stärken und in die bestehenden Eltern- und Familienberatungsstellen integrieren.
Wir sorgen dafür, dass Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung unbürokratisch und schnell zu ihrem Geld kommen. Deshalb prüfen wir, wie Werkstattlohn und Grundsicherung künftig aus einer Hand durch die Werkstatt ausgezahlt werden können. Auf Bundesebene setzen wir uns weiter für eine Werkstattreform ein, die auch das Wunsch- und Wahlrecht der Beschäftigten berücksichtigt.
Zudem entwickeln wir den Hamburger Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention weiter. Die regelmäßige Evaluation des Landesaktionsplans zeigt, dass konkrete Maßnahmen weiterentwickelt werden und unsere Anstrengungen fortgeführt werden müssen – gemeinsam mit den Menschen mit Behinderung und ihren Interessenvertretungen.
Das ist mir und meiner Fraktion ein weiterer Ansporn.
Warnecke: Wir als Grüne Fraktion haben den Anspruch alle oben genannten Punkte auf den Weg zu bringen und darüber hinaus über die nächsten fünf Jahre im Austausch mit Betroffenen und Verbänden weitere aktuelle Themen aufzugreifen und zu bewegen.
Dabei fangen wir u. a. mit der Stärkung der bezirklichen Inklusionsbeiräte an. Wenn wir als Politiker*innen gute und nachhaltige Entscheidungen fällen wollen, sind wir auf Menschen angewiesen, die uns als Expert*innen ihrer Lebenswelt fachkundig beraten.
Vor meiner Wahl in die Bürgerschaft im März, war ich einige Jahre Fraktionsvorsitzende der Grünen in Eimsbüttel. In dieser Rolle erlebte ich die wichtige Arbeit des dortigen Inklusionsbeirats, die jedoch nur durch hohes persönliches Engagement einzelner Personen aus Politik, Verwaltung und ganz besonders dem Beirat selbst möglich war.
Doch Mitbestimmung darf Menschen mit Behinderungen nicht vorenthalten bleiben, wenn es an der ein oder anderen Stelle gerade an den engagierten Personen fehlt.
Deshalb brauchen wir verbindliche Strukturen und Rahmenbedingungen, die diese wichtige Arbeit in allen sieben Hamburger Bezirken verlässlich ermöglichen und die Stimme der Beiräte stärken.
Ein weiterer Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist, ist die Verbesserung der Zugänglichkeit von Hilfen und damit insbesondere die Erreichbarkeit von Behörden. Auch hier gibt es gerade für Menschen mit Behinderung viele zusätzliche Barrieren.
Die Bürgerschaft ist ein Teilzeitparlament und ich arbeite weiterhin in meinem Beruf. Ich bin Sozialarbeiterin und seit 15 Jahren selbstständige Berufsbetreuerin. Im Rahmen dieser Tätigkeit stelle ich mit und für meine Klient*innen bei verschiedensten Behörden von den Grundsicherungsämtern über das Versorgungsamt bis zum Fachamt Eingliederungshilfe Anträge, die zum Großteil unmittelbar existenzsichernd sind.
Durch Personalmangel und eine lange aufgeschobene Digitalisierung sind die Bearbeitungszeiten für Anträge in den letzten Jahren immer länger geworden. Das müssen wir ändern. Antragsverfahren müssen vereinfacht und verschlankt und in einem Zentrum für Teilhabe gebündelt werden. Durch konsequente Digitalisierung und Automatisierung der Antragsbearbeitung können personelle Ressourcen dann für die persönliche Beratung der Antragstellenden genutzt werden.
LmBH: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, damit Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung besser gelingen?
Jäck:17 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland sind die Herausforderungen trotz vieler Fortschritte immer noch groß. Es geht nicht nur um bauliche Barrieren, sondern auch um gesellschaftliche Sensibilisierung.
Es fehlt an Bewusstsein, Begegnung und teilweise an Verständnis für die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen.
Eine große Herausforderung sehe ich in der nachhaltigen Sensibilisierung – insbesondere in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft insgesamt.
Als SPD stehen wir für eine inklusive Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt wird. Inklusion gelingt, wenn Menschen mit Behinderungen aktiv mitgestalten – getreu dem Grundsatz „Nicht über uns ohne uns“.
Wichtige Schritte, wie z. B. 2019 die Aufhebung der Wahlausschlüsse für Menschen mit Behinderung zeigen, dass Veränderung möglich ist.
Warnecke:Teilhabe ist ein Menschenrecht, was durch die UN-Behindertenrechtskonvention klar festgeschrieben wurde. Es ist eine Aufgabe von Politik allen Menschen Zugang zu diesem Recht zu verschaffen.
Wir haben uns vorgenommen Hamburg zu einer Inklusionsmetropole zu entwickeln. Dieses Ziel beinhaltet eine gesamtgesellschaftliche Transformation. Denn Inklusion bedeutet nicht einzelne Sonderwege zu entwickeln, damit Menschen mit Behinderung an einzelnen Stellen teilhaben können. Es bedeutet unsere Stadt so weiterzuentwickeln, dass Teilhabe für alle selbstverständlich wird – Räume so zu gestalten, dass die verschiedenen Bedürfnisse der diversen Menschen unserer Gesellschaft automatisch mitgedacht werden.
Dieses Umdenken ist eine der größten Herausforderungen und gleichzeitig die Grundlage für gelingende Inklusion. Politik kann den Menschen unserer Gesellschaft diese Veränderung nicht verordnen. Aber es ist die Aufgabe der Politik, diese Rechte festzuschreiben und die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen und personelle Ressourcen zu stärken.
